Veröffentlicht am 20. Februar 2024 von Kulturlotsin Ulrike
Ballerinas lieben sie: wirbelnde Pirouetten, Puszta-Weite, Lebensfreude pur, die „Ungarischen Tänze” von Johannes Brahms. Weltberühmt sind diese Werke des Romantik-Genies, doch es gibt noch so viel mehr bei ihm - Tiefe, Poesie, Power, Virtuosität. Heute, an einem nebligen 17. Februar, erklingt all das im Konzert im Lichtwarksaal. Ein ebenso reizendes wie hochkarätiges Kammer-Kunst-Duo hat die Johannes-Brahms-Gesellschaft Hamburg eingeladen. Die Violinistin Nina Karmon und Pianistin Dr. Terhi Dostal spielen Brahms-Sonate d-Moll op 108 zwischen nordischer Geheimtipp-Musik und Clara Schumanns Romanzen. Romanzen? Gab es da nicht mal eine? Zwischen der legendären Pianistin und Brahms? Die Fantasie driftet zurück ins 19. Jahrhundert. Und plötzlich sind sie da, die Interpretinnen. Vorhang auf für einen nostalgischen Traum.
Nordland-Elfen
Psst! Das Event beginnt. Nein, nicht mit Musik, sondern mit Buchstabieren: Professor Matthias Kirschnereit, Präsident der Johannes-Brahms-Gesellschaft, kokettiert lächelnd mit Agnes Tschetschulins kompliziertem Namen. Sie ist eine der beiden Komponistinnen, die gleich musikalisch zu Wort kommen werden. Zuvor aber noch etwas Trauriges: eine Schweigeminute für den kürzlich verstorbenen Prof. Kurt Hofmann, Ehrenmitglied, berühmter Brahms-Forscher und „ein wunderbarer Mensch”. Die Zeit steht still. Nur Piano, Geige und ein musikalischer Salon.
So wie damals, bei der schwedischen Violinistin Amanda Röntgen-Maier (1853-1894). Bei ihr gab es auch solche Wohnzimmerkonzerte, Brahms musizierte öfters mit ihrem Ehemann, Julius Röntgen. Ihre Sonate h-moll wird als Erstes gespielt. Ein nordisches Märchen im Sommernacht-Licht. Blaue Fjorde und Fabelwesen huschen in die Sinne. Das ist kein Zufall: die Finnin Terhi Dostal hat ein Faible für Fairy-Tales. Sie kreierte bereits Filme zu Mythen in Brahms-Liedern. Auch die nachfolgenden Stücke der finnischen Virtuosin Agnes Tschetschulin (1859-1942) versprühen cineastisches Flair: „Alla Zingaresca” tanzt in flirrender Folkore, die „Gavotte” dagegen ziert sich wie eine Dame im Spiegelsaal von Versailles. Nach dem lebhaften Tanz folgt ein liebliches Wiegenlied, die „Berceuse”, sie klingt so hell wie ein leuchtender Tag…
Foto der Künstlerinnen Nina Karmon und Dr. Terhi Dostal: © Gudrun Jalass
Oh, Clara!
Fenster auf, eine Talkrunde im Foyer bei Getränken und Bekannten, dann trifft Clara Schumann auf allseits erfrischten Mind. Ihre „3 Romanzen” op 22 füllen den Saal mit sanften Vibes. Das Andante in Moll zaubert Kerzenlicht, Briefe und alte Kommoden herbei. Als kichernder Mädels-Abend tritt das Allegretto auf, um „leidenschaftlich schnell“ direkt im Glück zu münden: die junge Frau, die in den Park zu ihrem Liebsten eilt. Ob das so war bei Clara und Johannes Brahms? 1853 hat Clara die drei Romanzen komponiert. Da besucht Brahms sie und ihren Mann, den berühmten Komponisten Robert Schumann, zum ersten Mal, konzertiert bei ihnen. Sein brilliantes Klavierspiel schlägt ein wie der Blitz. Brahms ist hingerissen von der schönen Pianistin mit dem elegischen Blick. Doch dann verdunkelt ein Drama die Romantik: der Selbstmordversuch des introvertierten Schumann. 1854 landet er in der psychiatrischen Anstalt, bleibt dort einsam bis zu seinem tragischen Tod. Brahms unterstützt Clara zuhause in dieser verwirrenden Zeit, kümmert sich um die Kinder. Jahre voll Poesie folgen: „Meine geliebteste Freundin...Immer denke ich ja an Sie und mit der heißesten Liebe und Verehrung. Alle Tage will ich Ihnen schreiben, wohl immer dasselbe, ich fühle und denke ja immer dasselbe...“1 so lesen sich Brahms' Briefe an Clara. Und sie genießt seine „Zartheit“. Konzerte, Karriere, Versagen und Sehnsucht kulminieren: „Robert, Clara und Johannes“ heißt ein faszinierendes Portrait der Akteure, das beweist: Robert Schumann war nicht geisteskrank.2 Clara und Johannes haben ihre Liebesbriefe vernichtet, Freunde bleiben sie für immer, eine 40-jährige, sehr tiefe Künstlerbeziehung. Noch etwas überdauert, eine kleine Notiz, die Brahms an den Rand seines Musikstücks für Clara schreibt: „Rosen und Heliotrop haben geduftet.“3
Brahms - Maestro grandioso
30. Oktober 1888. Die Tinte ist noch nicht trocken im Manuskript von Brahms' Violinsonate d-Moll op 108, da machen sich schon Brahms' Freundinnen begeistert übend darüber her - Amanda Röntgen-Maier und Elisabeth von Herzogenberg. Spontan, „ziemlich unfrisiert, aber mit froh erwartungsvollen Herzen“ heißt es dazu in den biografischen Leckerlis im Programmheft. Das Stück beginnt filigran, wie ein impressionistisches Gemälde. Da ist sie wieder, die von Clara bemerkte Zartheit. Allegro und Adagio erzählen in wehmütiger Lyrik von moosigem Waldboden und murmelnden Quellen. Doch man täusche sich nicht, er kann grandios wie ein Felsbrocken sein, der Naturliebhaber Brahms. Die Akkorde fiebern final in ungarischer Tanz-Glut4. Was, Konzert schon vorbei, bitte nicht! Endloser Applaus. Zum Glück gibt es eine Zugabe: ein Csárdás wirft mit La Bohème-Funken nur so um sich. Ein furioser Schluss. Oder doch nicht? Und dann kommen tatsächlich noch die Tränen, so cosy und süß tupft es sich ins Herz, das Wiegenlied von Johannes Brahms. Danke für diese unvergessliche blaue Stunde. Die Teatime mit so viel Genie!
Brahms-Museum. Foto © Andreas Torneberg
Quellen:
1, 2, 3: Peters, Uwe, "Robert, Clara und Johannes – Schumanns letzte Jahre", 2. revidierte Aufl., Köln 2013, ANA Publishers, ISBN 978-3-931906-23-8
4: https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/359
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